Kategorie: Kolumne

Gedanken zu meiner ersten D&D-Kampagne

Ein Mitspieler hat meine Pen & Paper-Gruppe und mich mit einem bemerkenswerten Geschenk überrascht: In einem Anfall von scheinbar manischer Energie hat er unsere 150-seitige Zusammenfassung in ein Kanka-Wiki übertragen. Schaut es euch an, es ist fantastisch!

Unsere erste Dungeons & Dragons-Kampagne, «Princes of the Apocalypse», war mein Debüt als Langzeit-Spielleiter. Während ich mich in Kanka’s Charakter-, Orts– und Journal-Abschnitte vertiefte, dachte ich über gelernte Lektionen nach. Was hat funktioniert? Was nicht? Inwiefern hat mir das Buch geholfen, und wo hat es versagt? Und am interessantesten: Was würde ich heute anders machen?

Dies und der Wunsch, das fantastische Wiki zu präsentieren, haben mich zu diesem Beitrag inspiriert. Achtung, Spoiler im Anflug!

Das erste Dutzend Sessions verlief reibungslos. Die Spieler:innen erforschten ihre ersten Dungeons, knüpften NSC-Verbindungen in der Stadt Red Larch und erlebten dramatische Charaktertode und die Einführung neuer Charaktere. Das Kampagnenbuch bot genügend Inspiration für das Rollenspiel mit faszinierenden NSCs und enthielt interessante Abenteuerorte zum Erkunden. Vieles davon war jedoch in VIEL ZU VIEL Text begraben und musste für die praktische Anwendung am Spieltisch erheblich umgeschrieben werden. Aber geht es nicht genau darum beim GMing? (Nein. Nein, tut es nicht.)

Als wir uns in unseren ersten grossen Dungeon wagten, tappte ich in eine Falle, gelegt durch die klassische Beschreibung eines D&D-Dungeons – Monster und Features werden von Raum zu Raum enthüllt.
In einer Kampfszene, die sich in einem abgelegenen Bereich einer grossen Höhle abspielte, zauberte ein Spieler den SEHR lauten Zauberspruch «Thunderwave». Die plötzlich ziemlich besorgten Spieler:innen warfen die Frage auf, ob dies nun die übrigen Bewohner:innen des Dungeons alarmieren würde. Ziemlich gestresst dachte ich: «Oh Mann, ich bin am Arsch, oder? Das Level des Dungeon ist eigentlich zu hoch für die PC, und wenn sie von allen Monstern gleichzeitig angegriffen werden, wird das einer dieser gefürchteten TPKs (Total Party Kills) und die ganze Kampagne ist vorbei! Und soll ich wirklich JETZT mehrere Seiten Raumbeschreibungen durchforsten, um alle Feind:innen zu finden? So kann es doch nicht laufen, oder?»
Also schlussfolgerte ich: «Keine Sorge! Das ist D&D. Dungeons werden Raum für Raum erkundet und die nächsten Monster haben nichts mitgekriet. Klingt doof, ist aber so.» (Nein. Nein, ist es nicht.)

Erst viel später wurde ich durch einen Blogeintrag auf das Konzept der «Adversary Rosters» aufmerksam gemacht und durch einen kürzlichen Master’s Talk daran erinnert. Wenn ihr wissen wollt, worum es sich dabei handelt, schaut euch den Blogbeitrag oder diese Präsentation an.

Eine weitere Lektion ergab sich, als meine Spieler:innen mich mit ihren unerwarteten Aktionen im Versteck des Kultes der Ewigen Flamme überraschten. Als sie mit den Streitkräften des Kultes konfrontiert wurden, die ein evil RitualTM durchführten, beschlossen die Spieler:innen, sich zurückzuziehen und nie mehr zurückzukehren. Nun musste ich mir Konsequenzen der erfolgreichen Durchführung des Rituals überlegen, da das Buch keinerlei Beschreibung des eigentlichen Ziels des Rituals enthielt.

Und Ziele im Allgemeinen. Mir wurde klar, dass ich keine Ahnung hatte, was die vier Kulte und ihre ikonischen Anführer:innen eigentlich wollten und wie sie planten ihre Ziele zu erreichten. Laut Buch hockten sie einfach in ihren Dungeons und warteten darauf, dass die Spieler:innen auftauchten und sie töteten, bis der oder die letzte von ihnen, während der Beschörung des elementaren Overlords gefunden wurde. Sehr bösewichtig. Und langweilig.

Die Kultführer:innen Aerisi Kalinoth, Marlos Urnrayle, Vannifer & Gar Shatterkeel

Also holte ich die Anführerin des Feuerkults, Vannifer, aus ihrem Dungeon und liess sie mit ihrer ritual-verstärkten Armee das Tal verwüsten. Das führte zu der epischen Schlacht von Beliard, mit aufeinanderprallenden Armeen, dem Gefühl von «Ooops.. Wir haben das verursacht…» in meinen Spieler:innen und der glorreichen Niederlage einer Kultführerin, die auf dem Schlachtfeld für ihre Sache starb.
Die Lektion: Bösewicht:innen brauchen Ziele und Pläne, die nach ihrer Erfüllung Konsequenzen mit sich bringen.

Wenn ich über diese Erfahrungen nachdenke, würde ich für einen zweiten Kampagnendurchlauf folgendes ändern:

  • Unterschiedliche Ziele und Unterziele für jeden Kult definieren, welche Konfrontationen untereinander fördern.
  • Das Fraktionssystem aus «Worlds Without Number» verwenden, um die Aktivitäten der Kulte zu simulieren.
  • Adversary Roster in Dungeons verwenden.

Trotz seiner Designschwächen bietet «Princes of the Apocalypse» eine Vielzahl von Bösewicht:innen und Fraktionen, und das Sandbox-Design bietet den Spieler:innen reichlich Handlungsspielraum.

Für uns führte es zu einem fantastischen Epilog und einem grossartigen Kanka-Wiki, welches zahlreiche Erinnerungen weckt!

Arcanor und die West Marches

Wir haben eine neue Arcanor-Seite erstellt. Arcanor basiert auf den West Marches. Aber was sind die West Marches?

Das Konzept der West Marches-Kampagne wurde erstmals von Ben Robbins beschrieben. Eine P&P-Kampagne im Stil der West Marches setzt sich aus einem losen Spieler*innen-Verbund zusammen, welcher an unregelmässigen Spielsitzungen in unterschiedlicher Konstellation zusammen die selbe Spielwelt bespielt. Diese Welt entwickelt sich zwischen den einzelnen Spielsitzungen weiter, sodass die Spieler*innen fortlaufend mit den Konsequenzen ihrer Entscheidungen (und den Entscheidungen anderer) konfrontiert werden. Falls du mehr wissen aber nicht mehr lesen willst: Matt Colville stellt dir die West Marches in einem Video vor.

Ein dynamisches Spiel

Eine sich immer weiter entwickelnde Spielwelt mitzuerleben ist einer meiner derzeitigen Hauptgründe, warum ich den Mantel des GM anbehalten habe. Und Arcanor als West-Marches-Kampagne eignet sich hervorragend eine solche Welt zusammen mit den Spieler*innen entstehen zu lassen. 

Dabei wählen sie die jeweiligen Ziele der Spielsitzungen, beispielsweise die verlassene Stadt Oberholm zu erkunden oder in die Tiefen Cockatrice-Höhlen hinabzusteigen. 

Die Meisterin bereitet daraufhin den Dungeon und alle Events und Orte auf dem Weg dorthin vor. Die Spieler*innen versuchen dann an einem Spielnachmittag ihr Ziel zu erreichen. Während der Session kommen sie in Kontakt mit neuen Orten, Charakteren und Ideen für weitere Ziele für zukünftige Spieleabende.

Diese Dynamik hält mich als GM auf Trab und zwingt mich, mich dem Tempo und den Vorlieben der Spieler*innen anzupassen. Die Geschichte der PC’s steht dadurch im Vordergrund, da die Spieler*Innen keinem von mir gewobenen Handlungsstrang folgen.

Ein loser Verbund von Eltern und anderen erwachsenen Menschen

Die Struktur einer West-Marches-Kampagne bietet unter anderem zeitliche Flexibilität. Eine mehrere Jahre umfassende Kampagne mit einer fixen Gruppe, erhält meiner Erfahrung nach oft einen Teil ihrer umfassenden Jahre dadurch, dass Spielsitzungen abgesagt, verschoben, versanden, wieder aufgenommen und wieder abgesagt werden. 

Dadurch das man die fixe Gruppe in eine flexible verwandelt, können sich nun einfach jeweils alle Spieler*innen im Pool für ein Spiel anmelden (jedoch ist die begehrte Platzzahl pro Sitzung auf 4-5 Spieler*innen beschränkt!). 

Pluspunkte, wenn die Teilnehmenden selbst Datum und Ort organisieren und es mehrere GM’s gibt, welche die Spiele unter sich aufteilen können. An dieser Stelle: Merci den anderen KuL-GMs fürs mitleiten! Wir würden weitere potentielle Meisterinnen und GameMasters für unsere Arcanor-Kampagne mit offenen Armen empfangen.

Emergent Storytelling

Als Lleylwin in den Tiefen des Grabes der Schlangenkönigin nicht nur beinahe den Tod sondern leider auch den Fluch der Mumienfäule fand und sich auf der Suche nach Heilung an die dubios fanatische Sonnenlegion wenden musste, war auch ich als GM überrascht, welche Kehrtwendungen die Geschichten in Arcanor nehmen können. Ich hatte vorgängig nichts in diese Richtung geplant und plötzlich tat sich ein weiterer Handlungsstrang auf, welcher die PC’s  auf diplomatische Mission mit einem Hohepriester sandte. 

Durch solche aus dem Spiel entstehenden Situationen ergibt sich ein organischeres Spielerleben, als wenn ich immer wieder versuche die Spieler*innen sanft zurück in meinen Story-Rahmen zu schubsen.

Und es fördert meine Improvisations-Skillz.

Ich kann es also jeder GM empfehlen mal ein West Marches Spiel wie Arcanor zu versuchen.

Was ist Pen & Paper?

“Und was macht ihr dann da?” Diese Frage höre ich oft im Zusammenhang mit meinen Begeisterungsstürmen, dass KuL nun einen Spiele-Raum mietet. Und weil die kurze Antwort “Rollenspiele”, jeweils ein etwas befremdetes Stirnrunzeln hervorruft, hier nun die etwas ausführlichere Antwort.

Eine Geschichte erzählen

Pen & Paper-Rollenspiele sind eine Form kollektiven Geschichtenerzählens. Die Dauer dieser Geschichten kann sich oft über Jahre erstrecken, einige Erzählstränge werden nie abgeschlossen und wachsen immer weiter.

maximal engagierte Charakterdarstellung

Dabei tauchen die Spieler*innen in Charakter-Rollen ein, welche sie meist im Vorfeld des Spiels selbst kreiert haben. Dies kann von einer Spielfigur mit hochdetaillierter Hintergrundgeschichte und komplexen Persönlichkeitsmerkmalen bis zu einem unbeschriebenen Blatt, welches gerade mal einen Namen hat, reichen. Je nach Bedürfnis halt.

Typischerweise wird das Spiel von einer Person moderiert. Für diese Funktion gibt es im Pen & Paper-Universum unzählige Bezeichnungen: Meisterin, Spielleiter, Game- oder Dungeon-Master, Judge, Referee, etc.

Ich als Spielleiter beschreibe eine Szene

Die Rolle der Meisterin besteht darin den Spieler*innen eine fiktive Welt, deren Schauplätze und Bewohner*innen und vielleicht sogar einen vorbereiteten Handlungsstrang à la Herr der Ringe zu präsentieren und die Spieler*innen mit Situationen zu konfrontieren, in welchen diese mit ihren Charakteren agieren und Entscheidungen treffen können.

Dabei stellen sich die Spieler*innen immer wieder die Frage “Was würde mein Charakter tun?”. Diese Frage beantworten sie durch das verbalisieren der Handlungen, welche ihre Spielfiguren vollführen. Konfrontiert mit den Entscheidungen & Handlungen der Spieler*innen überlegt sich die Meisterin, welche Konsequenzen diese innerhalb der Spielwelt haben und beschreibt das daraus resultierende Ergebnis. In Folge entstehen neue Situationen, welche abermals Entscheidungen der Spieler*innen abverlangen.

Dieses Wechselspiel zwischen Meisterin und restlicher Gruppe bildet die Grundlage, aus welchen sich unsere fantastischen Geschichten nach und nach zusammenfügen.

Ein Spiel spielen

P&P-RollenSPIELE sind aber nicht nur Auffangbecken für Hobby-Improvisationstheatler, sondern eben auch Spiele. Die Grundlage für das gemeinsame Fantasieren bietet häufig eines der hunderten Regelwerke, die es mittlerweile gibt. Eines der präsentesten davon ist beispielsweise Dungeons & Dragons (weitere Systeme, deren Regelwerke im Spielraum verfügbar sind findest du hier). Diese Regelwerke bieten Entscheidungshilfen, wenn der Ausgang einer verbalisierten Handlung unklar ist, beispielsweise ob die hohe Mauer erklettert, der wachsame Polizist überlistet oder die ferne Schatzinsel erspäht werden kann.

Ein Würfelset wie es beispielsweise bei Dungeons & Dragons verwendet wird

Viele Regelwerke bedienen sich dabei einer bereits in der antike bekannten Spielmechanik: dem Würfelwurf. In den Würfelwurf integriert werden meist die Attribute und Fähigkeiten der Spielfigur, welche nebst deren Hintergrundgeschichte und Namen zu Spielbeginn mit einem Pen auf einem Paper (bzw. mittlerweile häufig mit Tastatur auf Tablett) notiert wurden.

Durch dieses Zufallselement ergeben sich Spielsituationen, welche weder durch Spieler*innen noch Meisterin vorhergesehen werden konnten und die Geschichten nehmen überraschende Wendungen.

Das ist also das was wir da machen. Wir erzählen gemeinsam Geschichten und spielen dabei ein Spiel. Oder andersrum. Ich häufig als Meister/DM/Spielleiter, die Spieler*innen als Charaktere mit den Namen Gilbert, Thomas, Akira oder Nadjeszka, alle mit unterschiedlichen Persönlich- und Fähigkeiten und bewaffnet mit Würfel, Stift und Papier. Ich beschreibe die Welten, Landschaften und Bewohner*innen von Arcanor und von Barovia, das Fürstentum des Vampiren Strahd von Zarovich oder die dunklen Wälder des Witschwod. Die Spieler-Charaktere erkunden diese, überwinden Hindernisse und Gefahren und führen Verhandlungen oder schliessen Bündnisse.

Alles fiktiv, alles echt.

PS: Ein Beispiel einer Geschichte, welche sich über zwei Jahre entwickelt hat, finden sich in den unformatierten und unkorrigierten Spiel-Zusammenfassungen von Thomas und seinen Gefährten.

Katakomben & Lindwürmer & 2024